(*3. Juli 1945  † 14. Juli 2024)

Thomas Bruha war ein juristischer Kosmopolit, der Zeit seines Lebens – und vor allem in seinen wissenschaftlichen Arbeiten – leidenschaftlich für eine liberale, regelbasierte, auf Multilateralismus begründete internationale Ordnung und ein vereintes Europa eintrat. Geboren im Juli 1945, kannte er die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zwar nicht mehr aus eigenem Erleben, sein politisches Erwachsen-Werden aber war entscheidend geprägt von jenem „Nie wieder“, für das die Vereinten Nationen, der Europarat, der europäische Integrationsprozess und das Grundgesetz stehen – freilich auch einem „Nie wieder“, das angesichts von sich verschärfendem Ost-West-Konflikt und Kaltem Krieg alles andere als eine Selbstverständlichkeit darstellte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Sein Studium der Rechtswissenschaft absolvierte Thomas Bruha in Münster, Lausanne und Genf, die Neugier auf das Internationale schon in diesen frühen Jahren spürbar und später im Rahmen von Postdoc-Studies an der McGill-University (Montréal, Canada) und der University of Cambridge (Vereinigtes Königreich) sehr bewusst weitergelebt. Die wissenschaftliche Kariere begann jedoch am berühmten Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und als Hochschulassistent an der Universität Gießen bei Heinhard Steiger. Steiger, nicht nur Völker- und Europarechtler, sondern zugleich ausgewiesener Völkerrechtshistoriker, betreute die entwicklungsgeschichtlich inspirierte, theoretisch anspruchsvolle Dissertationsschrift zum Thema: „Die Definition der Aggression. Faktizität und Normativität des UN-Konsensbildungsprozesses der Jahre 1968 bis 1974. Zugleich ein Beitrag zur Strukturanalyse des Völkerrechts“, 1980 erschienen bei Duncker & Humblot.

Akademische Ambition verband Thomas Bruha aber stets auch mit einem Blick auf die Praxis respektive die praktische Wirksamkeit des in den Studierstuben Erdachten. Ein insoweit ideales Arbeitsumfeld bot ihm die Tätigkeit als Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut und zugleich Völkerrechtsberater der liechtensteinischen Regierung. Den größten Teil seines Wirkens als Wissenschaftler und Hochschullehrer sollte Thomas Bruha aber in Hamburg – mit einem familiären Standbein in Husum – verbringen. Von 1993 bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Jahre 2011 war er Professor für öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht an der Universität Hamburg, dort auch stellvertretender geschäftsführender Direktor des Instituts für internationale Angelegenheiten, zugleich Studiengangsleiter am Europa-Kolleg Hamburg und Mitglied im Direktorium des „Institute for European Integration“. Sein begeistertes und begeisterndes Engagement haben der Arbeit am Kolleg einen unverwechselbaren Stempel aufgeprägt. So hat er mit Kolleginnen und Kollegen aus den Fakultäten für Rechtswissenschaft sowie Wirtschafts- und Sozialwissenshaft das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Graduiertenkolleg „Integrationsforschung“ maßgeblich mitgestaltet. Rund 45 Doktorandinnen und Doktoranden konnten ihre Promotionsprojekt erfolgreich anschließen und manche Impulse für den um die Jahrtausendwende immer intensiver werdenden europäischen Verfassungsdiskurs gingen von der Hamburger Schule des Europarechts aus (siehe etwa Thomas Bruha/Joachim Jens Hesse/Carsten Nowak, Welche Verfassung für Europa? Erstes Interdisziplinäres „Schwarzkopf-Kolloquium“ zur Verfassungsdebatte in der Europäischen Union, Baden-Baden 2001).

Ein am Europa-Kolleg angesiedeltes Herzenprojekt war für Thomas Bruha der Postgraduierten-Studiengang „Master of European Studies“, im Jahre 1998 unter seiner Ägide ins Leben gerufen und seit 2009 in den bis heute nachgefragten Studiengangs „Master of European and European Legal Studies“ integriert. Liebenswürdig, offen, für alle immer ansprechbar wurde er immer neuen Studierendengenerationen zum hochgeschätzten akademischen Lehrer, international bestens vernetzt sorgte er für eine beeindruckende „Flying Faculty“, die wissenschaftliche Exzellenz mit Expertise aus den Europäischen Institutionen verband. „Seine“ Studierenden hielten auch nach ihrer Graduierung regen Kontakt, regelmäßige Alumni-Treffen, gerade in den neuen Mitgliedstaaten der nach ihrer Osterweiterung stark gewachsenen Union erfreuten sich größter Beliebtheit. Thomas Bruhas Arbeit blieb aber nicht auf Europa beschränkt. Von September 2011 bis Dezember 2012 wirkte als Co-Dean an der China-EU-Law School in Peking und kehrte auch Beendigung des Dekanats immer wieder als Dozent dorthin zurück.

Der Völkerrechtler Thomas Bruha zeichnete als Mitherausgeber über viele Jahre Hinweg für das „Archiv des Völkerrechts“ verantwortlich. Ebenso viel Zeit und Engagement widmete er der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., wurde im Jahre 1999 deren stellvertretender Vorsitzender und übernahm 2007 in Nachfolge von Christoph Zöpel für einige Jahre den Vorsitz. Dem Präsidium der Gesellschaft, zuletzt bestätigt durch Wahl im Oktober 2023, gehörte er bis zu seinem Tod an. In all diesen Ämtern und auf all seinen Betätigungsfeldern hatte der Forscher und Hochschullehrer Thoma Bruha eine Stimme von Gewicht. Sie ist kurz nach seinem 79. Geburtstag am 14. Juli 2024 verstummt und klingt doch angesichts der multiplen Gegenwartskrisen in den internationalen Beziehungen als dringliche Mahnung weiter: Zur Sicherung des Rechts und des Multilateralismus „müssen die Institutionen der Weltgemeinschaft allerdings auch auf die berechtigten Sicherheitsinteressen der Staaten (und ihrer Bürger) im Hinblick auf neue Gefahren eingehen. Tun sie dies nicht, wird die Prävention an den Vereinten Nationen vorbei betrieben. Zugleich kehrt der Krieg als Mittel der Politik zurück, in der Sprache wie im Handeln“ („Neue Kriege“: Neues Völkerrecht? – Wissenschaft & Frieden (wissenschaft-und-frieden.de). Wir wollen Thomas Bruha weiter zuhören und ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.

Prof. Dr. Markus Kotzur, LL.M. (Duke Univ.), Universität Hamburg