von Prof. Dr. Armin Hatje
Am 22. November 2024 verstarb nach langer schwerer Krankheit Prof. Dr. Jörg Philipp Terhechte im Alter von 49 Jahren. Mit ihm verliert das Europarecht einen der kreativsten, produktivsten und klügsten Wissenschaftler, von dem in der Zukunft noch viel zu erwarten war.
Jörg Philipp Terhechte, geboren 1975 in Salzkotten, studierte ab 1995 im Hauptfach Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. Im Jahr 2000 legte er die Erste Juristische Staatsprüfung ab. Danach wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl des Unterzeichners an der Universität Bielefeld. Die preisgekrönte Promotionsschrift zum Thema „Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts“ aus dem Jahr 2003 markierte einen seiner Forschungsschwerpunkte, nämlich die Wettbewerbsordnung der Wirtschaft in ihrer nationalen, europäischen und internationalen Dimension. Im Jahr 2005 absolvierte er das Zweite Juristische Staatsexamen und wurde wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Bielefeld, eine Position, die er nach dem Wechsel des Unterzeichners an die Universität Hamburg dort weiterführte.
Bereits in dieser Zeit wurde deutlich, dass ein herausragender Nachwuchswissenschaftler dabei war, der gesamten Europarechtswissenschaft seinen Stempel aufzuprägen. Seine vielfältigen Funktionen und Aufgaben lassen sich hier nur ausschnittsweise wiedergeben. Im Jahr 2012 übernahm Jörg Philipp Terhechte einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht sowie Regulierungs- und Kartellrecht an der heutigen Staatswissenschaftlichen Fakultät der Leuphana Universität Lüneburg. Die Universität hat er außerdem als Vize-Präsident über Jahre mitgeprägt und in den Kreis der national und international herausragenden Forschungs- und Studieneinrichtungen geführt.
Im Jahr 2016 wurde er Mitglied des Vorstandes der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Europarecht. Er folgte 2018 einem Ruf auf die Professur für European and International Economic Law an der University of Glasgow, einen Lehrstuhl, den er in Teilzeit neben seinen vielen anderen Verpflichtungen wahrnahm. Ebenfalls im Jahr 2018 wurde Jörg Philipp Terhechte Geschäftsführender Direktor des Institute for European Integration am Europa-Kolleg Hamburg, und Stiftungsvorstand der Stiftung Europa-Kolleg Hamburg. Zahlreiche Aufenthalte und Gastvorträge an ausländischen Universitäten zeugen von seiner internationalen Strahlkraft.
Seine wissenschaftlichen Beiträge zum Öffentlichen Recht, Unionsrecht und internationalen Recht können hier nicht einzeln gewürdigt werden. Allein sein Werk zum Kartell- und Fusionskontrollverfahren in den wesentlichen Ländern dieser Welt sucht seinesgleichen. Darüber hinaus bearbeitete er in verschiedenen Kommentaren nahezu jede wichtige Vorschrift der Unionsverträge, war Mitherausgeber und Autor des von der Groeben-Großkommentars sowie des Schwarze-EU-Kommentars. Außerdem hatte er die Gesamtschriftleitung der mittlerweile zwölfbändigen Enzyklopädie Europarecht inne, eine Funktionsbezeichnung, die seine maßgebliche Rolle bei der Entstehung dieses Werkes nur sehr unvollkommen wiedergibt. Ferner war er seit Jahren Mitarbeiter der Schriftleitung der Zeitschrift „Europarecht“. Aus seiner – gewiss vereinfacht formuliert – proeuropäischen Haltung hat er nie ein Geheimnis gemacht, was ihn aber nicht hinderte, die Entwicklung der Europäischen Union kritisch zu begleiten. Denn sein Blick war auf das Gesamtgefüge von Union und Mitgliedstaaten als notwendige und legitime Elemente eines europäischen Verfassungsverbundes gerichtet.
Die Drucklegung seines letzten Werkes „Die Haftung der Dritten Gewalt – Haftung als Baustein einer judicial accountability“ hat er nicht mehr erleben dürfen. Die Arbeit wurde im Sommer 2024 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Habilitationsschrift angenommen. Zwar hätte es dieser Schrift nicht mehr bedurft, um den Nachweis der Eignung für eine Professur zu erbringen. Jedoch war es Jörg Philipp Terhechtes lebenslanges Bestreben, eine angefangene Arbeit auch zu beenden. Das ist ihm sogar unter den schwierigen persönlichen Bedingungen des letzten Jahres meisterhaft gelungen. Wer den Menschen Jörg Philipp Terhechte näher kannte, weiß um seine vorwärtsstrebende Energie, seine persönliche Loyalität und nicht zuletzt um seinen blitzgescheiten Humor. Sein unglaublicher Mut in den letzten Jahren und seine Tapferkeit im Umgang mit der schweren Krankheit, unterstützt von der ihm so wichtigen und großartigen Familie, runden das Bild eines außergewöhnlichen Menschen ab, von dem wir nun leider viel zu früh Abschied nehmen müssen. Jörg Philipp Terhechte hätte uns allerdings nur einen kurzen Moment der Trauer zugestanden. Sein Credo war stets: Es muss vorangehen! Wir sollten dies als Verpflichtung begreifen. Er weist uns als Mensch und Wissenschaftler den Weg.